Debattieren in Moskau: Samstag fünf Stunden – nach einer sechs Tage Woche.  

Die Moskauer Unis gelten als die Prestigeträchtigsten Russlands, kein Wunder, dass Eltern 50-100 Euro pro Stunde in Privatlehrer investieren, um ihre Kinder auf die Aufnahmeprüfungen vorzubereiten. Die hohen Ambitionen zeichnen auch einige der Debattierclubs aus, so gewann das Team der MGIMO den Weltmeistertitel in der Sektion Englisch as Foreign Language. Und hier startet auch die kleine Rundreise.

Ein Sprachkurs in Rußland, ein Monat in Moskau, doch wie Russen kennenlernen. Na zum Beispiel in Debattierclubs, allerdings erstmal nur die mit den englischen Debatten, für die russischen reichen die Sprachkenntnisse natürlich noch nicht.

 

Für Besucher beginnt der Besuch eines Moskauer Debattierclubs immer mit einer Email an die Clubleitung. Es ist gar nicht so leicht, zu einem Moskauer Debattierclub zu gehen, denn die Clubleitung muß Besucher beim Wachmann anmelden. Die Orchana verhindert, dass Fremde einfach so eine Uni betreten dürfen. Und an ihrem Njet kommt keiner einfach vorbei.

 

Es ist Samstag (!) 14.30 (!) nach sechs (!) Tagen Universität treffen sich die Studenten des Debattierclubs an der  Moskauer Staatlichen Universität für internationalen Beziehungen (MGIMO). Vor ihnen liegen 4 bis 6 Stunden Debattierclub (noch mal nach sechs Tagen Uni am Samstag Nachmittag!)

 

Doch nicht nur das überrascht, auch das Geschlechterverhältnis. Von den 23 Anwesenden sind 6 ….Männer, der Rest Frauen. Alle warten auf den Beginn, also bleibt Zeit zum Fragen: Warum debattieren mehr Frauen als Männer? Das liegt nicht etwa an der Uni (da ist das Verhältnis 50/50) Die Antworten: Es schult die rhetorischen Fähigkeiten, ist interessant, schult Englisch, macht Spaß. Zudem meinen Jungs und Mädels: Russische Frauen sind sehr ambitioniert.

Vor der Debatte gibt es auch diesmal einen Workshop, den gibt Evgeny (Eugene) Akulich. Der gebürtige Weissrusse hat den Debattierclub der MGIMO  mitgegründet, heute arbeitet er bei der Boston Consulting Group in Moskau. Bei der WM 2005 schaffte er es ins Finale der Redner mit Englisch als zweiter Fremdsprache.


Statt geplanten 30 läuft der Workshop 90 Minuten, Thema: Was tun in der Vorbereitungszeit? Die Teilnehmer sinnieren darüber, wie sie strukturiert an das Thema herangehen. Die Resultate: Nicht wahllos Argumente sammeln sondern eng am Thema bleiben. Also: was heißt abolish? Was heißt universal? Warum etwas abschaffen?


Mögliche Gründe: Es schadet stark (wenn nur schwach, reicht ja eine Reparatur.) es ist ineffizient. Die nächste Überlegung: Warum sollte der Staat etwas tun: Weil er es effizienter kann, weil er damit Menschen schützt, die sich den Schutz sonst nicht leisten könnten.


Nach anderthalb Stunden startet die Debatte, die Redner gehen an das Thema – Studiengebühren – sehr formal heran, was überrascht, viele gehen dabei auf und ab, wie dozierende Professoren alter Couleur. Während Briten gerne einen Arm unter der Achsel einklemmen, sinnieren einige Russen mit der Hand am Kinn.


Dem 60-minütigen Feedback lauschen sie aufmerksam, für ein Bier danach bleiben von 25 allerdings nur vier.


Gar kein Bier nach der Debatte trinkt der Debattierclub der Higher School of Economics. Auch hier bekommt die Clubleitung eine Email, damit die Ochrana eine Liste hat und die „Fremddebattierer“ durchlässt.


Die 40 Studis treffen sich jeden Mittwoch um 19 Uhr für eine englische und um 21 für eine russische Debatte, das ganze geht also bis 23 Uhr. Hier ist Männer-Frauenquote fifty, fifty allerdings finden sich zwei Teilnehmerinnen, die auch zu anderen Debattierclubs der Stadt gehen. Regelmäßige Workshops machen sie nicht, dazu fehlen ihnen die erfahrenen Debattierer. Trotzdem sind sie ambitioniert, so richten sie ihr erstes Turnier gleich in Englisch aus.

Freitags um 18 Uhr treffen sich die Jungs und Mädels der Baumann-Hochschule, auch Raketen-Uni genannt (oder Rocket-College) An dieser Technischen Universität studieren die Ingenieure, Flugzeugbauer aber auch Elite-Informatiker von morgen.


Freitags machen sie von 6 bis 10 (!) abends für gewöhnlich zwei englische Debatten, samstags Workshops und russische Debatten. Auch hier dominiert der sehr formale Stil, gestenarm und dozierend. Dafür technisch stark, stets bekommt das Rebuttal 2 Minuten und wie von britischen Rednern bekannt bemühen sich auch die Baumann-Redner immer große Prinzipien gegeneinander zu stellen.


Als Fazit: Moskauer Debattierclubs spiegeln die Ambition der jungen russischen Elite-Studenten wieder. Zwar ist das Englisch nicht immer das beste, aber gerade deswegen fangen viele an und  - noch viel wichtiger – bleiben dabei: Um zu üben. Denn Vorlesungen oder Seminare in Englisch sind selten und Auslandssemester sehr schwierig zu bekommen. Daher sind einige eben besonders ambitioniert.


Vielleicht ist es daher kein Wunder, dass die Studis auch Freitagabend, Samstag Nachmittag, trotz 6-Tage Uni-Woche sich noch zum Debattieren treffen. Als ich den Jungs und Mädels erklärte, dass ich allein in der Uni säße, würden wir Samstagnachmittag unsere Treffen machen, da antworteten Sie: „Wieso das denn? Wir würden auch sonntags in die Uni kommen.“

Von: Mathias Hamann

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